Die wahren Kosten des Pendelns: Ist es auf Dauer besser, zum Arbeitsplatz zu pendeln – oder sollte man besser einen Umzug erwägen?
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Würden Sie in Barcelona wohnen und in London arbeiten? Sam Cookney tut (oder tat) das. Die mehr als 2 Stunden Flugzeit zum Pendeln nahm er gern in Kauf. Er rechnet vor, dass er damit sogar noch rund 400 Euro im Monat spart. IT-Spezialist Ralf Röber pendelt ebenfalls mit dem Flugzeug von Barcelona aus – nach Stuttgart. Seine Kunden merken nichts davon. Er stellt fest, dass in etwa 10 bis 15 Spanien-Deutschland-Pendler bei ihm mit im Flugzeug sitzen. Zugegeben, die genannten Beispiele sind sicherlich etwas extrem. Doch es zeigt einen bedenklichen Trend, der vor allem in den sogenannten westlichen und industrialisierten Ländern zu beobachten ist: Für einen Job wird ein immer weiterer Anfahrtsweg in Kauf genommen. In Japan oder den USA nehmen Tausende von Pendlern jeden Tag eine Bahnfahrt von mehr als 3 Stunden in Kauf.
Wie bereits erwähnt, rechnete Sam Cookney vor, dass er 400 Euro im Monat spart. Doch was hat Cookney in seiner Rechnung vergessen? Wir haben uns die wahren Kosten des Pendelns mal etwas näher angeschaut. Lohnt sich das tägliche Pendeln zur Arbeit wirklich? Ab wann ist ein Umzug doch besser? Welche anderen Alternativen sollten Pendler in Betracht ziehen?
Ab wann gelte ich als Pendler?
Gemäß dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) waren im Jahr 2016 60 Prozent aller Arbeitnehmer Pendler. Sofern Sie nicht ausschließlich im Home-Office arbeiten, müssen Sie als Arbeitnehmer ja irgendwie zu Ihrem Arbeitsplatz kommen. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Doch wer gilt in der Statistik als Pendler? Ein Pendler sind Sie dann, wenn Sie in einer anderen Gemeinde arbeiten als wo Sie wohnen. Fast Zweidrittel aller Deutschen nehmen das in Kauf. Die Tendenz ist sowohl bei der Anzahl der Deutschen, die pendeln, seit Jahren steigend, als auch der Weg, der zurückgelegt wird. Im Schnitt waren es im Jahr 2015 16,8 Kilometer die ein Arbeitnehmer zum Arbeitsplatz zurücklegen musste.
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Direkte Kosten des Pendelns
Da sind zunächst die direkten Kosten zu nennen, das heißt, die sich unmittelbar auf Ihren Geldbeutel auswirken:
- Kosten für Benzin, Diesel usw.
- Abnutzung des Fahrzeugs
- Öffentliche Verkehrsmittel
- Höhere Kfz-Versicherungsprämien
- Kosten für Parkplatz usw.
Die Betriebskosten für ein Fahrzeug beziffert der ADAC bei einem unteren Mittelklassewagen auf 40 Cent und bei einem gehobeneren Modell auf 60 Cent je Kilometer. Nicht bei jedem Pendler fallen alle oben genannten Kosten an und die Aufstellung ist auch nicht vollständig. Die Summe, die Sie hier ermitteln, müssen Sie natürlich ins Verhältnis zu den Kosten setzen, wenn Sie direkt in der Nähe Ihres Arbeitsplatzes leben würden. Häufig sind die Mieten in den Städten teurer als auch dem Land. Im Gegenzug benötigen Sie möglicherweise gar kein Auto oder nur ein Auto anstatt zwei. Bedenken Sie auch, dass wenn Sie auf dem Land leben, meistens weitere Wege zum Supermarkt, Friseur, Bäcker, Arzt, Schule usw. in Kauf nehmen müssen.
Indirekte Kosten – Häufig vernachlässigt
Ein weiterer größerer Kostenblock wird jedoch häufig vernachlässigt. Es handelt sich dabei um immaterielle Ausgaben. Das heißt, es sind nur kalkulatorische Kosten, die sich nicht unmittelbar auf Ihren Geldbeutel auswirken. Und zudem gibt es Kosten oder Ausgaben, die Sie gar nicht mit Geld aufwiegen können. Auch hier gilt, dass nicht alle Punkte auf jeden zutreffen. Welche das sind, sehen Sie hier:
- Wertvolle Lebenszeit
- Stress
- Übergewicht
- Freundesmangel
- Geringere soziale Kompetenz
- Mehr Zeit mit Fahren zu verbringen bedeutet höheres Risiko eines Unfalls
- Pendler erhöhen Umweltbelastung
Kalkulatorische Zeitkosten berechnen
Wie berechnet man die Kosten, die ein Pendler in Form von Zeit investiert? Gängig ist die Berechnung der Opportunitätskosten. Dabei berechnen Sie, wie lange Sie jeden Tag für den Pendelverkehr benötigen. Anschließend multiplizieren Sie diese Zahl (in Stunden) mit Ihrem Stundenlohn. Dafür brauchen Sie nur einen simplen Taschenrechner.
Gehen wir, um es einfach zu machen, mal davon aus, dass Sie im Schnitt für eine Strecke 45 Minuten benötigen. Hin und zurück macht das 1,5 Stunden. Diese 1,5 Stunden multiplizieren Sie mit Ihrem Stundenlohn. Der durchschnittliche Bruttolohn in Gesamtdeutschland lag 2016 bei 21,16 Euro. Auf das Jahr hochgerechnet (bei 220 Arbeitstagen) ergibt das knapp 7.000 Euro. Gehen wir davon aus, dass bei einem Ehepaar beide erwerbstätig sind und einen ähnlichen Fahrweg haben, ergibt das 14.000 Euro im Jahr. In 10 Jahren macht das 140.000 Euro. An dieser Stelle sollten Sie wirklich mal mit Ihren individuellen Zahlen rechnen. Schauen Sie auch mal, wie viel Ihrer Lebenszeit Sie im Auto verbringen, nur um zur Arbeit zu gelangen.
Was nützt mir der kalkulatorische Zeitwert?
Relativ wenig. Natürlich handelt es sich nur um einen theoretischen Wert. Denn selbst wenn Sie die Wegstrecke deutlich verkürzen und damit Ihre Zeitkosten senken, verdienen Sie auch nicht mehr Geld. Das wäre nur dann der Fall, wenn Sie die neu gewonnene Zeit in einen zweiten Job oder mehr Arbeitszeit investieren würden.
Was jedoch viel wichtiger ist, ist der Punkt, dass Sie mehr Lebensqualität gewinnen. Denn der Wert von Zeit wird immer wieder unterschätzt. Sie können mehr Geld verdienen. Aber Sie können keine Zeit im wahrsten Sinne kaufen. Dieser Aspekt wird umso wichtiger, je größer Ihre Familie ist. Stellen Sie sich ein Paar mit 2 Kindern vor, welches auf dem Land lebt und in der Stadt arbeitet. Der Vater muss früh um 7 außer Haus und kommt abends auch nicht vor 19 Uhr zurück. Könnte er seinen Arbeitsweg um eine oder sogar zwei Stunden reduzieren, hat er die Zeit frei für die Familie und kann auch das Leben mehr genießen. Malen Sie sich in Gedanken aus, was Sie mit Ihrer neu gewonnen Zeit anfangen würden. Wir sind sicher, dass Ihnen da bestimmt einiges einfallen wird.
„Die verfügbaren Untersuchungen zeigen, dass tägliche Pendelmobilität die körperliche und psychische Gesundheit der Erwerbstätigen gefährden kann und einen negativen Einfluss auf das Gesundheitsempfinden hat … Je länger die Fahrzeit der Erwerbstätigen, desto größer die Belastung, auch weil weniger Zeit zum Regenerieren bleibt.“
5 Alternativen für Mega-Pendler
Im Folgenden geben wir Ihnen 5 Alternativen für Pendler an die Hand. Die Reihenfolge ist zufällig gewählt, denn schließlich sind die Umstände zu verschieden.
Alternative 1: Umzug
Variante 1 ist, Sie ziehen einfach näher an Ihren Arbeitsort heran. Wie schon beschrieben, sollten Sie natürlich die Opportunitätskosten berechnen. Selbstverständlich muss auch hier die Lebensqualität berücksichtigt werden. Doch möglicherweise finden Sie einen Stadtteil, der sowohl nahe an Ihrem Arbeitsplatz liegt als auch für Sie attraktiv zum Wohnen ist.
Alternative 2: Zweitwohnsitz
Diese Option kommt für alle in Betracht, die eine sehr weite Wegstrecke zurücklegen müssen und es fast unzumutbar wäre, jeden Tag zu pendeln. Obwohl uns die eingangs erwähnten Beispiele zeigen, dass der Begriff „unzumutbar“ doch sehr dehnbar ist. Auch sollten Sie überlegen, ob Sie anstatt eines Zweitwohnsitzes nicht doch einen richtigen Umzug in Erwägung ziehen sollten.
Alternative 3: Neuen Job suchen
Von vielen Pendlern zwar in Gedanken immer mal wieder in Erwägung gezogen, aber dann doch wieder verworfen: Einen Job suchen, der näher am Wohnort liegt. Diese Möglichkeit ist für alle Pendler empfehlenswert, die ihren Wohnsitz nicht aufgeben möchten. Vielleicht ist das Haus finanziert und ein Verkauf nur schwer realisierbar, die Gegend ist traumhaft schön, der Freundeskreis groß usw.
Alternative 4: Arbeitszeiten verändern
Sind Sie Pendler und arbeiten Teilzeit? Müssen Sie dabei jeden Tag zur Arbeit fahren nur um ein paar Stunden dort zu arbeiten? Vielleicht können Sie Ihre Arbeitszeit so verändern, dass Sie anstatt jeden Tag pendeln, nur noch 2 oder 3 Tage auf Arbeit fahren und dafür an diesen Tagen länger arbeiten. Denkbar bei einem Gleitzeitmodell ist auch, dass Sie Ihre wöchentliche Arbeitszeit auf 4 Tage konzentrieren. Das ist ebenfalls ein sehr smarter Weg, da Sie zwar nicht rechnerisch aber „effektiv“ einen ganzen Tag für sich gewinnen. Zu guter Letzt können Sie auch von Vollzeit auf Teilzeit reduzieren. Das kann sich bei langen Fahrwegen sogar finanziell lohnen. Rechnen Sie mal nach!
Alternative 5: Auf Home-Office umsteigen
Seit 2015 haben Arbeitnehmer in den Niederlanden einen Rechtsanspruch auf Home-Office. Hierzulande sind wir noch nicht soweit. Doch wenn das bei Ihnen irgendwie möglich ist, dann überlegen Sie es sich ernsthaft, von zu Hause aus zu arbeiten. Obwohl es zugegebenermaßen auch hier Herausforderungen gibt. Bei dieser Option sparen Sie am meisten an Fahrtkosten und Zeit.
Fazit: Ihre Zeit ist mehr wert als 21,16 Euro die Stunde
Wahrscheinlich würden Sie nicht mit Sam Cookney tauschen und jeden Tag von Barcelona nach London mit dem Flugzeug pendeln – trotz der 400 Euro Ersparnis. Wahrscheinlich würden Sie auch nicht mit den zehntausenden Flugzeugpendlern tauschen wollen, die täglich 90 Minuten von Rio de Janeiro oder Sao Paulo nach Brasilia fliegen. Warum eigentlich nicht? Vermutlich ist Ihnen die Zeit zu schade, die Sie dafür investieren müssten. Genau das ist der Punkt. Ihre Zeit ist sehr, sehr kostbar! Die Zeit, die Sie fürs Pendeln benötigen, kann nur schwer in Geld berechnet werden. Doch eins ist sicher: Sie ist viel wertvoller als der Durchschnittslohn von 21,16 Euro je Stunde. Behalten Sie diesen Gedanken bitte im Sinn.
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